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Gedanken zur Zukunft des Lehrens und Lernens

Avatar of adminadmin - 23. Januar 2023 - Guestblog

Ein Zwiegespräch

Autorinnen: Annike Henrix, Dr. Sandra Scheele (beide HS Niederrhein)

In unserem heutigen Gastbeitrag veröffentlichen wir ein Interview mit Frau Prof. Dr. Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität in Hagen und Herrn Prof. Dr. Berthold Stegemerten, Vizepräsident für Studium und Lehre an der Hochschule Niederrhein zu ihren Gedanken zur Zukunft des Lehrens und Lernens.

Hybride Lehre rückte insbesondere im Nachgang zu den Semestern des Emergency-Remote-Teaching in den Fokus. Ist der Begriff geeignet, das Lehren und Lernen von morgen in den Blick zu nehmen?

Stegemerten:
Im „klassischen“ Sinne wird unter hybrider Lehre häufig ein zusätzlicher Livestream für Studierende, die nicht im Hörsaal anwesend sind, verstanden. Dabei stehen die Lehrenden vor der herausfordernden Aufgabe, alle Studierenden gleichermaßen gut anzusprechen und allen eine vergleichbare Veranstaltungsqualität zu bieten. Ein solches Verständnis von hybrider Lehre birgt die Gefahr einer Engführung. Als Hochschule müssen wir uns der zentralen Frage stellen: Wie konstruieren wir Lehre und wie unterstützen wir das Lernen so, dass wir den Studierenden in ihrer Heterogenität gerecht werden? Für Austausch und Diskussion wären trennscharfe Definitionen von Begriffen wie Präsenz, online, remote, hybrid, hyflex oder blended etc. wünschenswert. Wir sollten aber bei der Suche nach Begriffsdefinitionen die Kernfrage nicht aus dem Blick verlieren: Wie soll die Zukunft des Lehrens und Lernens aussehen?

Welchen Herausforderungen stehen Lehrende gegenüber, wenn sie hybride Lehre weiterdenken und sich auf eine neue Form des Lehrens und Lernens einlassen?

Pellert: Die wohl größte Herausforderung ist es, Lernen grundlegend neu zu denken. Gedanklich müssen wir als Lehrende uns dahin bewegen, die Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und die Gestaltung des Lehrens und Lernens vom Lernenden aus zu betrachten. Dieser Lernprozess für Lehrende hat drei Aspekte, die ineinandergreifen müssen: 1. Wie unterstützt man das Lernen der einzelnen Person und ihr Selbststudium? 2. Zu einem gelingenden Hochschulstudium gehören immer Kollaboration und Austausch; das lässt sich in allen Lehrformaten umsetzen, in manchen leichter, in anderen schwieriger. 3. Die Überlegung, wie man das Ganze in ein Lehr-Lern-Arrangement bringt – Gabi Reinmann spricht hier auch von Lehr-Lernarchitektur (Hybride Lehre – Ein Begriff und seine Zukunft für Forschung und Praxis, 2021). Es geht also um die sinnvolle Gestaltung des Lernens, so dass Studierende die avisierten Lernziele und Lernergebnisse tatsächlich erreichen. Und hier liegt die zentrale Herausforderung: Welche Lerngelegenheiten stelle ich den Studierenden bereit, um einen fachlichen ebenso wie einen überfachlichen Kompetenzerwerb zu ermöglichen. Vielen Lehrenden fällt dieser so genannte „Shift from Teaching to Learning“ nicht leicht. Sie verstehen sich vor allem als Content-Provider und weniger als Lernbegleiter*innen. Die ausschließlich digitale Lehre in den Corona-Semestern, aber auch die hybride Lehre haben das noch einmal besonders sichtbar gemacht. Hier müssen wir ansetzen und zwar im Austausch miteinander, um Studierenden zukünftig mehr anbieten zu können als einen Livestream. Am Ende des Weges, wäre es wunderbar, wenn auch die Lehrenden das Gefühl haben: Meine Lehre ist interessanter geworden (und nicht nur „anstrengender“)!

Stegemerten: Hybride Lehre wird häufig vom Lehrenden aus und oft auch nur isoliert für jeweils einzelne Veranstaltungen gedacht. Dies ist für Studierende nicht ausreichend: Ihre Lernrealität wird dadurch bestimmt, wie Veranstaltungen curricular und auf Tages-, Wochen- oder Semesterebene organisatorisch und inhaltlich zusammenspielen. Studierende greifen auf alles zurück, was da ist an Wissensressourcen und Medien – z. B. Videos, Online-Tests, Moodle-Kurse, Präsenzvorlesungen, Lerngruppen, Break-Out-Sessions, Skripte, Messenger Dienste, soziale Medien etc. – und nutzen diese den je eigenen Bedarfen entsprechend. Das kennzeichnet m. E. Lernen in der Zukunft und das ist per se hybrid und individuell. Auch in der Vergangenheit wurden hybride Ansätze umgesetzt, indem verschiedene Lehr-/Lernformate gemischt oder kombiniert wurden, z. B. ein synchrones Format wie eine Präsenzvorlesung mit einem asynchronen Distanzformat wie Lehren und Lernen mit Büchern oder Skripten. Digitale Medien haben jedoch die Vielfalt der Instrumente, die ich als Lehrperson kombinieren kann, enorm erhöht. Damit bieten sich auf der einen Seite mehr Möglichkeiten, das Lernen der Studierenden innovativ zu unterstützen. Auf der anderen Seite ergibt sich für die Gruppe der Lehrenden gleichzeitig die Notwendigkeit, Lehre und Formen der Lehre in Hinblick auf ein erfolgreiches Lernen der Studierenden stärker miteinander abzustimmen. Die Frage danach, ob hybride Lehre das Beste aus zwei Welten kombiniert, ist überholt: Es gibt längst mehr als die „zwei Welten“. Es geht darum, wie wir Studierenden sinnstiftendes Lernen und ein zielführendes Selbststudium ermöglichen. Welche Formate und Medien unterstützen Studierende dabei? Wie arrangieren wir als Lehrende und auch als Gruppe der Lehrenden den Strauß an Möglichkeiten bestmöglich im Sinne der geplanten Lernergebnisse?

Menschen lernen individuell, selbstbestimmt, teamorientiert, vernetzt, zeitlich und örtlich flexibel, so beschreiben Sie, Frau Pellert, das „New Learning“ im Hagener Manifest.  In welcher Verantwortung sehen Sie denn die Hochschulen auf dem Weg zum „Neuen Lernen“?

Pellert: Über den zu erbringenden Perspektivwechsel der Lehrenden als große Herausforderung haben wir schon gesprochen. Aber auch für die Hochschulen als Institutionen bedeutet es in den derzeitigen Hochschulstrukturen und unter den bestehenden Ressourcenbedingungen eine enorme Anstrengung, über die Fokussierung auf den Lernenden tiefgehend nachzudenken und entsprechend zu handeln. Es ist meine Vision – auch mithilfe der vielen technischen Möglichkeiten – an Hochschulen stärker personalisieren und individualisieren zu können, auch in großen Kohorten. Hier müssen wir – Hochschul- und Fachbereichsleitungen – viel Unterstützung anbieten. Das kann man nicht dem einzelnen Lehrenden aufbürden und sagen „jetzt machen Sie mal“. Der Wandlungsprozess muss im Großen (mit)gedacht und gestaltet werden.

Wie erreichen und motivieren wir die Lehrenden für die anstehenden Veränderungen?

Pellert:
Sie werden immer mit denjenigen Lehrenden anfangen, die Interesse an Veränderung und Weiterentwicklung der Lehre und des Lernens haben. Es gibt die Early Birds und die Skeptiker*innen, dazwischen ein interessiertes Mittelfeld und genau da muss man ansetzen und mit Reputation werben. Lehre braucht die gleiche Reputation und Professionalität wie Forschung! Ganz wichtig ist es deshalb auch, das Verständnis für Arbeitsteilung und den Nutzen von Open Content und Open Educational Ressources (OER) zu etablieren. Die Early Birds wissen, dass es nicht weh tut, gute Ideen, Konzepte oder auch Inhalte von anderen zu adaptieren und für eigene Zwecke zu nutzen. In der Forschung zitiert man schließlich auch Kollegen*innen und verweist auf die Arbeiten anderer. Das kann ein Weg sein, die hohe Lehre-Workload zu gestalten, ohne dass es die Luft zum Atmen nimmt: Teile mit und nehme von anderen. Da müssen wir hinkommen und dazu entsprechende Anreize setzen.

Stegemerten: Reputation ist auf jeden Fall wesentlich. Aber der Rahmen muss insgesamt stimmen. Hier haben wir als Hochschule Niederrhein sicherlich Nachholbedarf. Deshalb haben wir z. B. einen Expertise-Zirkel eingerichtet, der sich in den kommenden Monaten mit besonderen Leistungsbezügen im Rahmen der Besoldung mit Blick auf das Handlungsfeld Lehre befasst. Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es, quantitative und qualitative Kriterien zu identifizieren, um gute Lehre stärker honorieren zu können. Kriterien könnten z. B. sein: die erfolgreiche Einwerbung von Lehrprojektförderungen, eine regelmäßige Teilnahme an hochschuldidaktischen Weiterbildungsangeboten, die Auszeichnung mit dem Lehrpreis, eine aktive Mitgestaltung des Lehrforums, das regelmäßige Bespielen und Nutzen von OER-Plattformen oder die Beforschung der eigenen Lehre mit dem SoTL-Ansatz. Neben der Motivation durch Reputation, Deputatsanrechnungen oder einer Entlastung bei administrativen Dingen ist aber auch die Erkenntnis wichtig: Agiler und aktiver im Lehrprozess zu sein, führt zu mehr Spaß an der Lehre und somit am Beruf. Erfreulicherweise haben wir schon einige Vorreiter*innen und Vorbilder an unseren Fachbereichen, die genau das vorleben.

Welches übergeordnete Ziel können die Hochschulen für die Studierenden verfolgen, wenn Sie Lehren und Lernen neu denken?

Pellert:
Wenn wir die Lernenden in den Fokus nehmen, wie es das Hagener Manifest tut, geht es immer auch darum, ihnen Kompetenzen mitzugeben, die sie befähigen, ihr Studium und ihre berufliche Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Derzeit sind Studierende noch viel zu stark Konsument*innen. Aber es gibt keinen Wissens-Trichter und danach bist du gescheit. Die Studierenden müssen sich selbst auf den Weg machen und die Verantwortung für ihr Lernen übernehmen, und wir unterstützen sie dabei. Das bedeutet nicht, dass sie alleine lernen: Es ist wichtig, Ihnen die Bedeutung von Vernetzung und Austausch in Tandems oder Gruppen zu vermitteln, über die sie die Fähigkeit erlangen können, Diskurse zu führen. Auch brauchen sie begleitendes Feedback von den Lehrenden, um sich weiterentwickeln zu können – und das eben nicht nur in Form der „klassischen“ Prüfung und einer Notenskala. Sobald wir als Hochschule den Kompetenzerwerb, die Handlungsfähigkeit der Lernenden fördern, tragen wir maßgeblich zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung bei.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft des Lehrens und Lernens?

Pellert:
Wir konzipieren das Lehren und Lernen der Zukunft mit der gleichen Professionalität, den gleichen Ressourcen und der gleichen Anerkennung wie die Forschung. Bisher sind Forschung und Lehre nicht gleichberechtigt. Forschung ist öffentlich, aber in der Lehre ist es noch peinlich, wenn man beim Kollegen oder bei der Kollegin in den Hörsaal spickt. Hier muss es zu einem Kulturwandel an den Hochschulen kommen. Wir müssen in ein gemeinsames Gespräch darüber kommen, was für uns gute Lehre und gutes Lernen ausmacht, einen professionellen Diskurs dazu führen, fachspezifische Unterschiede und gemeinsame Prinzipien einer Hochschule diskutieren. Neben dem Diskurs braucht es – von unterschiedlichen Stellen in der Hochschule – ganz viel konstruktive Unterstützung der Lehrenden, damit sie für die Herausforderungen der Zukunft der Lehre gewappnet sind und ihnen das Lehren Spaß macht.

Stegemerten: Wir verstehen Lehren und Lernen mehr als bislang als Gemeinschaftsaufgabe. Wir Lehrende verwenden die neuen (digitalen) Instrumente wie z. B. OER, um in hohem Maße arbeitsteilig vorgehen zu können. Geschaffene Freiräume nutzen wir, um Lehre so abzustimmen und zu gestalten, dass Studierende bestmögliche, individualisierte Rahmenbedingungen für ihr Lernen finden. Das bedeutet auch, dass wir stärker miteinander kommunizieren und voneinander lernen: Lehrende öffnen einander ihre Lehre und alles was dazu gehört. Studierende und Lehrende kommen intensiv ins Gespräch; und Verwaltungsmitarbeitende, Lehrende und Studierende tauschen sich über strukturelle Rahmenbedingungen aus. Die Hochschulleitung schafft die Voraussetzungen für mehr Austausch untereinander. Die Hochschule Niederrhein hat, wie viele andere Hochschulen in NRW, mit ihrem neuen Hochschulentwicklungsplan (HEP) 2022-2026 dafür einen Rahmen geschaffen. Es braucht jetzt die Stärkung der Lehre, die Stärkung des Gemeinschaftsgedankens sowie die Offenheit Neuem gegenüber. So kann ein neues Bild von der Zukunft der Lehre und des Lernens reifen und ein zukunftsweisendes Verständnis von Studium und Studieren entstehen.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview erschien erstmals im Dezember 2022 in der Le/Ni-Beilage des NIU-Magazins, geführt wurde das Interview von Annike Henrix und Dr. Sylvia Ruschin aus der Hochschuldidaktik der Hochschule Niederrhein.

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3 Kommentare

Sandra Scheele / 27. Januar 2023

Liebe Frau Reinecke,

vielen Dank für Ihre Rückmeldung, es freut uns sehr das zu hören!

Viele Grüße

Sandra Scheele


Annike Henrix / 27. Januar 2023

DCAT

Liebe Frau Dr. Reinecke, es freut uns, dass das Interview auf diesem Wege neue Leser:innen findet. Vielen Dank fürs Teilen!


Katja Reinecke / 26. Januar 2023

Dr.

Vielen Dank für das spannende Interview! Ich bin darauf gestoßen da wir - die Hochschuldidaktik der Freien Universität, das Dahlem Center for Academic Teaching (DCAT) -im Sommersemester 2023 eine Themenwoche zur Lehre unter dem Motto >> studierendenorientiert lehren veranstalten. Ich finde, dass Frau Pellert mit ihrem ersten Statement eine gelungene Antwort gibt auf die Frage, warum "Studierendenorientierung" kein Thema (ausschließlich) der 90er ist, sondern heute genauso relevant und immer noch keine Selbstverständlichkeit. Ich habe auf der Homepage des DCAT aus diesem Interview zitiert und auf das Interview verlinkt.